neue_Heimat: anderswo
über Suche und Heimat mit Musik der „Winterreise“ von Franz Schubert
Samstag, 12. Dezember 2020 · 20:30 Uhr · auf YouTube (zur Videoinstallation hier klicken)
„neue_Heimat: anderswo“ ist eine Videoinstallation, die am 12. Dezember 2020 um 20:30 auf YouTube Premiere gefeiert hat. Die Künstlervereinigung ensemble artists aus Hannover hat in Kooperation mit der polnischen o.to.ja Stiftung ihre Kontakte über die ganze Welt genutzt, um Menschen zu finden, die aus den unterschiedlichsten Gründen ihren Geburtsort, also ihre ursprüngliche Heimat, verlassen haben, um anderswo eine neue Heimat zu finden, in der sie sich sicher, wertgeschätzt und selbstwirksam fühlen.
Jeder hat eine andere Vorstellung von Heimat. Die Sequenzen, die in der Videoinstallation zu sehen sein werden, zeigen deshalb das Leben von 12 Heimatsuchenden hautnah. Alle Sequenzen sind von ihnen selbst aufgenommen und durch Axel Ludenzon gesammelt und angeordnet worden. Dazu erklingt die „Winterreise“ von Schubert, mit zur Hälfte polnischen und deutschen Texten, aufgenommen von Tomasz Raff und Mischa Kozłowski.
Gerade in dieser Zeit möchten wir auf Einzelschicksale aufmerksam machen, die aufgrund von politischer Generalisierung, den Einschränkungen durch Corona und großen gesellschaftlichen Strömungen in Vergessenheit geraten.
Worte der ausführenden Künstler
Axel Ludenzon – Der Titel "neue_Heimat: anderswo" entstand im Wesentlichen aus meiner Auseinandersetzung mit dem mir heutzutage sehr wichtig erscheinenden Thema der weltweiten Suche von einzelnen Personen nach einem Ort, an dem sie sich wohlfühlen können. Mag dieser nun äußerlich oder innerlich sein, spielt dabei scheinbar keine Rolle. Außerdem spielt dabei aus meiner Sicht keine Rolle, in welchem Zustand sich die suchende Person selbst befindet, ob sie jung oder alt, reich oder arm, glücklich oder unglücklich ist, alle scheinen irgendwie noch nicht da angekommen zu sein, wo sie eigentlich sein möchten oder zumindest lieber wären. Gleichzeitig definieren wir heutzutage immer wieder neue „Ankommenspunkte“, die vielleicht als eine neue Heimat betitelt werden können, sich aber als solche im Laufe der Zeit vielfach nicht bewähren. Liegt es daran, dass wir einfach nicht mehr in der Lage sind, tatsächlich irgendwo anzukommen oder daran, dass es keine solchen Orte – ob eben nun innerlicher oder äußerlicher Natur – nicht mehr gibt? Eine Frage, die das Wort „anderswo“ für mich besonders ausdrückt, da in einem gewissen Widerspruch zur neuen Heimat an sich steht und für mich damit zum Ausdruck bringt, dass es zwar neue Heimaten geben könnte, diese aber dauerhaft anderswo sind.
In dem Liederzyklus der Winterreise von Schubert kommt dieses Thema der Suche und das Irgendwie-nicht-ankommen-können sehr schön zum Ausdruck. Die Musik und die Texte können für mich deshalb in einem sehr interessanten und aufregenden Widerspruch zu sehr schönen, oder sehr speziellen Orten stehen, an denen die Videos gedreht sind. Andererseits können die Bilder auch das Weiterziehen von einer neuen Heimat in die nächste darstellen. Aktuelle Relevanz bekommt das Thema aus meiner Sicht deshalb, weil auch in Coronazeiten immer noch Flüchtlinge auf der ganzen Welt nach neuen Heimaten suchen, aber auch scheinbar angekommene Menschen durch die unvorhersehbaren Veränderungen dieser Zeit in vollkommen neue, unerwartete Situationen gebracht werden, die sie unter Umständen nötigen aufzubrechen und Neues zu suchen. Ob das dann zu einer „neuen Heimat anderswo“ werden kann, ist dabei eine offene Frage.
Tomasz Raff – Das Phänomen der Migration im 21. Jahrhundert ist zu einem der größten globalen Probleme geworden. Jeden Tag riskiert eine Vielzahl von Menschen Gesundheit und Leben auf der Suche nach einem neuen, sichereren und besseren Ort für die weitere Existenz – und globalen Institutionen und Industrieländer finden keine wirksamen Lösungen, die eine Perspektive zur Kontrolle dieses Phänomens bieten. Migration, Topos des Weges, die Suche nach einem Zuhause sind Phänomene, mit denen die Menschheit ständig beschäftigt war und ist und die immer noch intellektuelles Denken und künstlerische Kontemplation erfordern.
Davon wusste bereits Franz Schubert, als er 1827 seinen Liederzyklus „Winterreise D.911“ schrieb. 167 Jahre später schrieb der polnische Übersetzer und Dichter Stanisław Barańczak im Exil in den USA einen Gedichtband mit dem Titel „Winterreise“ mit der Absicht, zur Musik von F. Schubert aufgeführt zu werden. Die polnisch-deutschen Beziehungen werden maßgeblich von dem oben beschriebenen Phänomen der Migration beeinflusst. Viele deutsche Familien haben polnische Wurzeln oder sind mit Polen mit Migrationshintergrund in Kontakt gekommen, die ein besseres Leben in Deutschland suchen. Ein künstlerischer Versuch einer gemeinsamen polnisch-deutschen Herangehensweise an das Phänomen der grenzüberschreitenden und globalen Migration wird das Hauptthema dieser Videoinstallation sein.
Vitae
Tomasz Raff ist ein in Warschau geborener Bassist, der seine Ausbildung an der Universität der Künste Berlin bei KS Prof. Peter Maus und Universität für Musik Frederic Chopin in Warschau abschloss. Er ist Gastsolist der Staatsoper Warschau und Polnischen Königsoper Warschau sowie künstlerischer Leiter und Fundraiser der „o.to.ja Stiftung“. Als freischaffender Sänger und Musikproduzent hat er mehrere Uraufführungen und weitere künstlerische Projekte organisiert und künstlerisch geleitet. Zu den wichtigsten gehören die Uraufführungen und Ersteinspielungen von M. Weinbergs Liedern, die Uraufführungen der Kammeroper „Zum Himmel“ und des Psalmenzyklus, beide von K. Brochocka.
Seine sängerische Karriere begann er noch während der Studienzeit. Er hat 2007 als Uberto in „La Serva Padrona“ in Warschau debütiert. Seitdem hat er u. a. an der Staatsoper sowie der Polnischen Königsoper Warschau, den Opern Krakau und Breslau in Polen und an der Oper Halle, dem Mainfranken Theater Würzburg, Ballhaus Ost und „Hebbel am Ufer“ Berlin mehrere wichtige Opernrollen wie Daland, Mefistofele, Sarastro, Colline, Gremin, Osmin und Zaccaria verkörpert.
Im Bereich Konzert und Oratorien singt er regelmäßig beide Bach-Passionen, das Weihnachtsoratorium, Händels „Messias“, sowie Requiem und Messen von Mozart und „Passio“ von Arvo Pärt. Er ist Mitglied von Ensemble Artists e. V.
Mischa Kozłowski – einer der interessantesten Pianisten der jungen Polnischen Generation, Solist und Kammermusiker, Assistent am Institut der Kammermusik der Fryderyk Chopin Universität für Musik in Warschau, Präsident der „Partnerschaft in der Musik” Stiftung.
Der junge Künstler hatte bereits die Gelegenheit, seine Begabung in Konzerthäusern in Europa, China und Japan mit höchstem Erfolg zu beweisen. Ab 1999 studierte er bei Prof. Katarzyna (Ekaterina) Popowa-Zydroń und seit 2008 Jahr an der Fryderyk Chopin Universität für Musik in Warschau in der Klavierklasse von Prof. Paleczny und der Kammermusikklasse von Prof. Padrewski, Prof. Marchwiński und Prof. Jankowska-Borzykowska (Masterdiplom mit der höchsten Auszeichnung 2013). Ab 2014 studierte er an der Hochschule der Künste Bern in der Schweiz, wo er bei Prof. Herbut 2017 das Solistendiplom mit der höchsten Auszeichnung absolvierte und danach das „CAS– Kammermusik Advanced" Studium zusammen mit dem Affetto Piano Trio bei Prof. Jüdt, Prof. Urbaniak-Lisik und Prof. Herbut absolvierte. Der junge Künstler wurde auch zu wichtigen Festspielen wie den „Kissinger Sommer” und „KlavierOlymp” in Bad Kissingen, den Festspielen „Europäische Wochen“ in Passau, dem „Swiss Chamber Music Festival” in Adelboden (Schweiz) u. a. eingeladen.
Axel Ludenzon (*1987) lebt und arbeitet in Hannover. Sein Studium der Musiktheaterregie an der Theaterakademie Hamburg weckte gestalterische Potentiale, die allein durch Musik und Theater nicht erfüllt werden konnten. In Form von installativen und performativen Formaten, die in Verbindung mit reinbildnerischen Elementen ihre Wirkung zu entfalten suchen, zielen seine Kreationen häufigauf die Umdeutung alltäglicher Räume oder Gegenstände ab. Seine Schöpfungen möchte das Gegenteil der Rationalität: Sie möchte Menschen auf einer „multisinnlichen“ Art und Weise begegnen. Als sein größtes Anliegen gilt: Kunst geht nicht mehr auf Distanz, sondern tritt in Beziehung, die mehr ist als voyeuristisch. „Ich möchte erleben, dass an einem Kunstwerk steht: please touch. Also mache ich es selber.“ Beeinflusst durch Künstler wie Olafur Eliasson, Roman Signer u. a. verfolgen seine Kreationen vorrangig das Ziel, durch die Interaktion des/der Betrachter*in mit dem Objekt das eigentliche Kunstwerk zu erschaffen. Im Verleben von Zeit entsteht so Veränderung, die zu überraschenden und vor allem zu unplanbaren Schlusskreationen führt. Seine aktuelle Kreation „footsteps in water I“ ist im Rahmen der „HEART – 100 artists, 1 mission“-Ausstellung der Uno Flüchtlingshilfe in der Kunsthalle Bonn und der Kunsthalle Hamburg zu sehen. Das Projekt „could be identity – könnte Identität“ steht kurz vor der Veröffentlichung im Raum Hannover. Seit 2016 ist er Mitglied der Künstlervereinigung „ensemble artists“.
Partner
Fundacja o.to.ja - Die o.to.ja Stiftung wurde in 2015 von 3 Sängern gegründet. Die Idee, Musik für jeden Mensch zugänglich zu machen und in den Blutkreislauf jedes Menschen einzuimpfen ist seitdem ein Hauptthema der Stiftung. Es geht nicht nur darum, die Musik wie im Museum zu präsentieren, sondern zu zeigen, dass die Musik uns inspiriert, bewegt und uns empfindlicher und achtsamer macht für alles, was um uns herum passiert. Wir möchten die Sprache der Musik nutzen, um über die heutige Welt zu reden und immer das Gute, die Schönheit und die Wahrheit in der Kunst sowie der Welt zu finden. Seit 2015 hat die o.to.ja Stiftung zahlreiche Veranstaltungen organisiert, u.a. die Uraufführungen von Opern und neuen Konzertwerken, sowie die Aufführungen von größeren Oratorien. Die Projekte der o.to.ja Stiftung werden vom Nationalen Zentrum der Kultur Polens, dem Mickiewicz Institut und der Hauptstadt Warschau gefördert. Die Stiftung hat auch mehrere private Sponsoren, die die Aktivitäten der Stiftung durch regelmäßige Spenden belohnen.
Besonderer Dank gebührt den Förderern
Dieses Projekt wurde im Rahmen des Mehrjahresprogramms NIEPODLEGŁA für 2017-2022, Förderungsprogramm „Kulturbrücken 2020“ des Adam Mickiewicz Institutes finanziert.